The Playlist: Wie Spotify die Musikindustrie auf den Kopf gestellt hat

Kurz nach seinem Schulabschluss hat Daniel Ek bereits mehr erreicht als viele in ihrem ganzen Leben: ein erfolgreiches Start-up, 25 Mitarbeiter*innen und ein monatliches Einkommen von 50.000 Dollar.

Doch der Kampf zwischen illegalen Streamern und Plattenfirmen fesselt ihn. Und bringt Daniel Ek auf eine Idee, mit der er radikal verändern wird, wie wir alle Musik hören. Mit 23 wird Ek den ersten legalen und heute erfolgreichsten Musik-Streamingdienst der Welt gründen: Spotify.

Die neuen Serie The Playlist erzählt die fiktionalisierte Geschichte von Spotify. Die erste Folge beginnt mit Daniel Ek. Edvin Endre (bekannt aus Vikings) spielt ihn als scheues, stures Genie, gelangweilt in einem Job, der ihn unterfordert. Er sitzt in Boxershorts und ausgewaschenen T-Shirts vor seinem Computer und sucht nach der einen Idee, mit der er seinen Vorbildern aus dem Silicon Valley Konkurrenz machen kann.

„Was zur Hölle! So ist das nicht passiert.“

Als Google seine Bewerbung dankend ablehnt – er solle erst mal ein Studium fertigmachen – zerknüllt Daniel Ek den Brief und hackt aus Rache erst mal den Google-Code. Die zerknitterte Absage hängt er an sein White Board und schreibt darunter das Ziel: „Innerhalb eines Jahres mein eigenes Unternehmen gründen und verkaufen! Was?“

In der Serie ist das der Beginn seiner wahren Karriere – doch die Besonderheit an The Playlist ist, dass die Serie sich selbst hinterfragt.

Am Ende der ersten Episode feiern Daniel Ek und sein Team gerade eine brillante Idee, da dreht sich eine der Figuren zur Kamera und sagt: „Was zur Hölle! So ist das nicht passiert.“

The Playlist bricht immer wieder mit der vierten Wand: Die Figuren sprechen in entscheidenden Momenten zum Publikum und hinterfragen, ob wirklich stimmt, was da gerade erzählt wurde. Diese Irritation ist bewusst – und am stärksten in der ungewöhnlichen letzten Szene der Serie, die wir hier noch nicht verraten wollen.

Edvin Endre –kaum wiederzuerkennen mit Halbglatze – als Daniel Ek in The Playlist.

Jede der Folgen bietet einen anderen Blickwinkel von einem der Menschen, die maßgeblich zum Erfolg von Spotify beitragen. Da ist der Sony Executive, der eine Vendetta gegen PirateBay führt, aber zähneknirschend eingesteht, dass seine Industrie sich ändern muss, wenn „drei Kids und ein Server“ sie in die Knie zwingen. Da ist die Anwältin, die den Weg für die Lizenzierung der Musik bereitet. Andreas, Spotifys erster Mitarbeiter und CTO, der verzweifelt versucht, seinen Traum einer einzigartigen Idee vor den Zwängen des Geldes zu retten.

Folge fünf erzählt die Perspektive von Eks Geschäftspartner Martin, der kein neurotypisches Gehirn hat und gerade deshalb als Einziger den Mut hat, in Eks verrückte Idee zu investieren – aber von seinem Partner nach und nach an den Rand gedrängt und von wichtigen Gesprächen ausgeschlossen wird wie ein ungezogenes Kind. Und zum Abschluss erzählt eine junge Musikerin – die Sängerin Bobbi T, eine erfundene Figur – wie ihre Songs über 200.000 Mal im Monat gestreamt werden, aber die Einnahmen selbst mit zahlreichen Live-Gigs und harter Arbeit nicht mal für ihre Miete reichen.

Die Plattenfirmen scheuten die Veränderung, die Programmierer hassten Kompromisse. Die Anwältin Petra Hansson (Gizem Erdogan) brachte beide Seiten zusammen.

Wie lautet die wahre Geschichte hinter The Playlist?

All diese Figuren hinterfragen und kritisieren sich gegenseitig. Sie zeigen, dass Erfolge wie der von Spotify nie nur einem einzigen Menschen zu verdanken sind. Und sie malen ein vielschichtiges Bild von dem größten Musikstreamer der Welt.

Was ist die Wahrheit? Es lohnt sich, dieser komplexen Frage in der originell erzählten Serie The Playlist nachzugehen. Zur Einordnung sind hier ein paar der wichtigsten Meilensteine aus der Geschichte Spotifys und von Gründer Daniel Ek, wie sie im echten Leben abgelaufen sind.

Sweatshop am Schulcomputer: So begann Daniel Eks Karriere

Der junge Daniel Ek wächst in Stockholm bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. Seine Computerkenntnisse wecken früh Aufmerksamkeit. Er wird gefragt, ob er eine Webseite bauen könnte. Zuerst lehnt er ab. Er kann noch nicht HTML kodieren.

Als er wieder und wieder gefragt wird, versucht er, seinen potentiellen Kunden abzuwimmeln: Er nennt mit umgerechnet 5.000 US-Dollar einen für ihn absurd hohen Geldbetrag. Über die Zustimmung ist er geschockt. Ein Deal ist ein Deal, also bringt er  sich die Computersprache bei.

Wird mit dem Praktikanten verwechselt, weil er noch so jung ist: Mit 22 ist Daniel Ek bereits ein erfolgreicher Geschäftsmann. Doch seine wahre Leidenschaft findet er erst mit Spotify.

Nach der ersten Webseite kommt die zweite. Seine Kund*innen empfehlen Daniel Ek weiter, seine Arbeit ist gut. Er hebt seinen Preis auf 10,000 US-Dollar pro Webseite. Als er die Aufträge nicht mehr alleine schafft, sucht er sich Unterstützung. Er lockt Mitschüler*innen mit Versprechen von Videospielen in sein Unternehmen. Er bringt ihnen bei, wie man codet und Designs kreiert. Zusammen sitzen sie in der Schule und bauen Webseiten.

Sein kleiner „Sweatshop“ von Teenagern – wie Ek sein erstes Start-up in einem Interview mit LinkedIn-Gründer Reid Hoffman einmal nannte – wird schnell lukrativ. Daniel Eks Mutter bekommt erst davon mit, als er plötzlich mit einem großen, neuen Fernseher nach Hause kommt.

Ein Wunderkind sucht nach seiner Leidenschaft

Nach seinem frühen Erfolg geht der Weg nicht so geradlinig weiter, wie man denken möchte. Seine Bewerbung bei Google wird tatsächlich abgelehnt. Nach der Schule konzentriert er sich eine Weile auf Musik. Diesen Traum lässt er nach einem Jahr im Tourbus hinter sich. Er probiert es mit einem Studium an der Technischen Hochschule in Stockholm, das er auch abbricht.

Also macht er sein eigenes Ding weiter. Er wächst in verschiedenen Techunternehmen in immer höhere Rollen. Dann gründet er das Online-Advertising-Startup Advertigo. Sein Leben bleibt turbulent. Mal ist er nah am Bankrott, dann reißt er das Ruder wieder herum und verkauft sein Unternehmen für mehrere Millionen.

Joel Lützow als Andreas Ehn: Spotifys erster Mitarbeiter und der Kopf hinter dem User Interface der App.

Frührente mit Anfang 20 – bis Daniel Ek auf eine bahnbrechende Idee kommt

Mit dem Geld seiner verkauften Unternehmen hat Daniel Ek sich mittlerweile alles gekauft, was er haben wollte. Trotzdem bleibt genug übrig, um ihm eine sehr frühe Rente zu erlauben – mit 23 Jahren.

Er verbringt wieder mehr Zeit mit Musik, spielt Gitarre und wühlt sich auf den neuen illegalen Streaming-Webseiten der frühen 2000ern durch neue Songs. Natürlich verfolgt auch er die Konflikte und Gerichtsverfahren um die Online-Piraterie.

Die Musikindustrie leidet unter dem digitalen Wandel. Nach Rekordeinnahmen in den Neunzigern sinken nun die Einnahmen drastisch. Wer will schon für Musik bezahlen, wenn man sie im Internet kostenlos herunterladen kann?

Daniel Ek wird neugierig. In der angekündigten Rente hält er es nicht lange aus. Er fragt sich, wie sich die Möglichkeiten der Online-Streamings legal und nachhaltig umsetzen lassen. Denn der digitale Wandel ist nicht aufzuhalten, der Geist ist aus der Flasche. Also fängt Daniel Ek an, ihn mitzugestalten.

Der Kampf um die Musik

Daniel Ek pitcht die Idee für einen legalen, kostenlosen Musikstreamer bei einem bekannten Investor – seinem späteren Geschäftspartner Martin Lorentzon (in The Playlist der Erzähler in Folge 5) – und baut ein Team auf. 2006 wird Spotify offiziell gegründet.

Christian Hillborg als Spotify-Mitgründer Martin Lorentzon.

Das schnelle Internet und die gute Technik-Infrastruktur in Schweden erlauben frühe Fortschritte, aber der enge Zeitplan erweist sich als zu optimistisch. Spotify steht vor zwei großen Herausforderungen: der Download-Geschwindigkeit und den Lizenzen.

2006 dauerte es noch mehrere Minuten, ein Lied herunterzuladen, um es anzuhören. Das ambitionierte Team von Programmierer*innen arbeitet Überstunden, bis es die Lösung findet. Doch da ist noch ein größeres Problem: die Musik, die den Streamer füllen soll.

Denn die Musikindustrie zeigt sich stur und unwillig zur digitalen Veränderung. Nach den Verlusten der letzten Jahre begegnen die CEOs und Entscheider*innen der großen Musikstudios dem Streamer mit Angst und Misstrauen. Sie können sich nicht vorstellen, wie das neue digitale Medium für die Branche lukrativ werden soll.

Aber Daniel Ek und sein Team bleiben hartnäckig und leisten Überzeugungsarbeit, bis die Musikbranche sich dem Fortschritt nicht mehr verwehren kann. Einer nach dem anderen versammelt Spotify die großen Namen für den Streaming-Dienst.

Ulf Stenberg spielt Per Sundin, den ersten Entscheider aus der Musikbranche, der mit Spotify einen Vertrag unterschrieb.

Erst zwei Jahre nach der Gründung schafft Spotify es zu den Usern. Der Dienst überzeugt und findet schnell Erfolg. Nach langen Durststrecken, vielen Überstunden und finanziellen Engpässen können Daniel Ek und sein Team aufatmen.

Spotify wird zu einem „Einhorn“, einem Startup mit einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar vor dem Börsengang 2018. Als erster großer Streamer überflügelt Spotify sogar Konkurrenten wie Apple. Auch 2022 ist Spotify noch die beliebteste Musik-Streaming-Plattform der Welt mit über 350 Millionen Usern und 150 Millionen Abonnent*innen.

Damit kommen auch Probleme.

Umstrittener Erfolg

Am Anfang versprach Daniel Ek mit Spotify die Demokratisierung der Musikbranche. Mittlerweile beschweren sich viele Musiker*innen, mit Spotify habe nur eine neue Hierarchie Einzug gehalten. Wie die Musikerin in The Playlist feststellt: Mit dem Erfolg von Spotify verdienen die Plattenfirmen mehr als vor der Musikpiraterie. Während sie selbst ihre Miete nicht zahlen kann, obwohl Tausende ihre Musik hören.

Auch Fake-News machen vor Spotify nicht halt. Die Plattform geriet in den letzten Jahren in die Kritik, als Podcasts mit sexistischen und rassistischen Inhalten die Runde machen.

Daniel Ek muss heute als CEO für diese Kritik geradestehen. Geschichten über seinen harschen Umgang mit Mitarbeiter*innen kratzen zudem an seinem Image.

Janice Kavander als die Musikerin Bobbi T, die einzige Hauptfigur in The Playlist, die nicht von einer realen Person inspiriert ist. Sie steht stellvertretend für tausende andere Künstler*innen, die eine ähnliche Geschichte wie sie erlebt haben.

Die letzte Folge von The Playlist zeigt Daniel Ek als isolierten Menschen: Mit Geld und Macht, umgeben von Stars wie Bruno Mars, Chris Rock und Mark Zuckerberg. Aber vor allem einsam. Seine Schulfreundin Bobbi T (die es in echt so nie gegeben hat) fragt ihn im Finale: „Du denkst also, alles wäre besser, wenn du nie mehr auf andere hören würdest?“ Und der Ek in The Playlist antwortet: „Ja.“

Der wahre Daniel Ek bevorzugt es, möglichst wenig mit Medien zu sprechen. Er gibt selten Einblicke, und noch seltener persönliche.

Aus dem schwedischen Wunderkind wurde ein umstrittener Tech-Gigant. Aber mit Spotify stellte er die Musikbranche auf den Kopf. Wie wir heute Musik hören, ist ohne Daniel Ek und die vielen anderen Menschen hinter Spotify unvorstellbar.

Netflixwoche Redaktion

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