Schwarze Cowboys: Wie der Schwarze Western Generationen von Filmschaffenden geprägt hat

Im neuen Film The Harder They Fall stehen sich Idris Elba und Jonathan Majors als Todfeinde gegenüber. Der moderne Western des Regisseurs Jeymes Samuel verbeugt sich dabei vor Traditionen, traut sich gleichzeitig aber auch einige Innovationen zu.

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Die großen Westernfilme der letzten 100 Jahre waren nicht gerade von Vielfalt geprägt. Die Revolverhelden und Gesetzeshüter der Genreklassiker sind hinlänglich bekannt: John Wayne, Henry Fonda, James Stewart, Gary Cooper und Clint Eastwood sind einige der markantesten Gesichter, die über die Prärie ritten, sich mit Banditen anlegten, in Saloons Whiskey kippten oder sich kloppten. Die Protagonisten, mit denen Hollywood den Wilden Westen bevölkerte, waren meist männlich und weiß. 

In der US-Filmindustrie, die ab Beginn des 20. Jahrhunderts beinahe ausschließlich aus Hollywood heraus arbeitete, waren Schwarze und Latinx-Perspektiven kaum anzutreffen. Und falls doch, dann vornehmlich als Nebenfiguren und Bösewichte. Dieser Alltagsrassismus beschränkte sich nicht nur auf People of Color. Auch irische, italienische und polnische Bevölkerungsgruppen wurden aufgrund ihrer Einwanderungsgeschichte und ihres vorwiegend katholischen Glaubens als nicht vollwertige Bürger betrachtet und in negativem Licht dargestellt. Rassismus im Film war also nicht nur auf Hautfarbe beschränkt, dort aber besonders deutlich zu sehen.

Ein Ensemble-Foto aus dem Westernfilm The Harder They Fall
The Harder They Fall: J.T. Holt, Regina King, Zazie Beetz und Justin Clarke im Wilden Westen

Schwarze Protagonist*innen in Westernfilmen waren lange eine absolute Ausnahme, wie eine schnelle Reise durch die Filmgeschichte zeigt. Folglich ist auch unser mentales Bild das eines vorrangig weißen Westens. Ein historischer Blick auf den amerikanischen Westen im 19. Jahrhundert zeigt aber, dass dies mit der Realität wenig zu tun hat. Die Bewohnenden des Wilden Westens – ob Cowboys, Siedler*innen oder einfache Arbeitende, ob Soldaten oder Outlaws – waren ethisch gemischt, hier trafen Menschen aus Mexiko und Europa auf Sklav*innen und freie Schwarze. In Texas beispielsweise, das als entscheidendes Grenzgebiet zwischen zivilisiertem Osten und ungezähmtem Westen galt, waren im Jahr 1860 über 30 Prozent der Bevölkerung Schwarz. Kurz nach Ende des Bürgerkriegs hatte jeder vierte Cowboy in Texas afroamerikanische Wurzeln. Kein Wunder, war der Beruf des Cowboys doch einer der wenigen, in denen weiße und Schwarze Bürger ohne Einschränkungen mit- und nebeneinander arbeiten konnten.

Filme, die diese Realität abbilden, sind selten. Sogenannte „Race Movies“ – meist Genrefilme und Melodramen mit ausschließlich Schwarzer Besetzung, die sich mit größtenteils positiver Figurenzeichnung an ein Schwarzes Publikum richteten – entfalteten bereits ab den 1920er-Jahren ein eigenes filmisches Universum. Dabei waren es Filmemacher wie Oscar Micheaux, der vom einfachen Schuhputzer zum Autor, Regisseur, Produzenten und Filmmogul aufgestiegen war, die in ihren Filmen auch den Western mit Schwarzen Helden bevölkerten. 

Schwarze Western wie The Virgin Of The Seminole, Two Gun Man From Harlem oder das Westernmusical Harlem On The Praire erwiesen sich als Publikumslieblinge und Kassenschlager. Der „singende Cowboy“ Herbert Jeffries wurde unter dem Spitznamen „Bronze Buckaroo“ berühmt, bevor er das Filmgeschäft hinter sich ließ und in Duke Ellingtons Orchester sang. Die Filme, in denen Jeffries spielte, blieben jedoch die Ausnahme unter den über 2.000 (!) Western, die bis zum Ende der 1950er-Jahre gedreht wurden. Eine der wenigen Besonderheiten aus dem Dunstkreis Hollywoods war Sergeant Rutledge von Altmeister John Ford mit dem markanten Ex-Footballer Woody Strode in der Hauptrolle des titelgebenden Offiziers.

Ab Ende der Fünfziger verschwanden die klassischen Western zusehends aus den Kinos. Die simplen Gut-Böse-Zeichnungen funktionierten immer weniger, die Helden wirkten altbacken. Im kollektiven popkulturellen Bewusstsein hallten die Bilder des Westerns dennoch nach.

Eine Szene mit Pferd aus dem Western The Harder They Fall
Mit The Harder They Fall greift Jeymes Samuel die Fäden auf

Der Western kehrte in den verschiedensten Spielarten zurück: Ob in den trippigen Acid-Western der späten 1960er-Jahre von Dennis Hopper und Alejandro Jodorowsky, den Spätwestern der Siebziger mit ihren desillusionierten Antihelden oder in den brutalen, meist europäischen Spaghettiwestern. Auch Schwarze Filmemacher nahmen sich des Genres an und erschufen Figuren und Geschichten, die das neue Selbstbewusstsein der Bürgerrechtsbewegung und der Black Power-Ideale spiegelten. Doch dort, wo die „Race Movies“ vier Jahrzehnte zuvor das neue Selbstbewusstsein noch in positive Geschichten und Helden gossen, waren die Filme des Blaxploitation-Kinos kontroverser: Um Dealer, Gangster und Zuhälter ging es oft in den reißerischen, schnell produzierten Filmen der Ära. Exzessive Gewalt und reichlich Kraftausdrücke waren die Regel und ließen manche Kritiker*innen zweifeln, wie positiv die Wirkung dieser Filme auf das Publikum war. 

Während sich die harten Jungs in den Klassikern des Blaxploitation-Genres durch die Halbwelt der Großstädte ballerten, machten sich Filme mit provokanten Titeln wie The Legend of N***** Charly, Charly One-Eye und Boss N***** das zuvor vorrangig weiße Westerngenre auf andere Art zu eigen. Geschichten von Outlaws standen im Vordergrund, durchzogen von Gewalt und einer ständigen Auseinandersetzung mit klassischen Westernklischees. Insofern waren die Blaxploitation-Western den Spaghettiwestern nicht unähnlich. In beiden Spielarten sind es oft die Antihelden, die heroische Gesten von einst auf den Kopf stellen, um sich gegen ein korruptes, kaputtes und letztlich ehrloses System zu behaupten. Auch Hollywood erkannte den Trend: In Buck & The Preacher traten Sydney Poitier und Harry Belafonte in einem der wenigen Schwarzen Mainstream-Western gemeinsam vor die Kamera. 

Django und Spiel mir das Lied vom Tod sind nur zwei der berühmten Filme, die das Spaghettiwestern-Genre als böser kleiner Bruders des klassischen Westerns hervorbrachte. Zusammen mit den Blaxploitation-Western wirkten sie absolut stilprägend für folgende Generationen von Filmemachern. Nicht nur Mario Van Peebles, Sohn der Blaxploitation-Legende Melvin Van Peebles, verewigte dies in seinem Schwarzen Western Posse, auch Ober-Filmnerd Quentin Tarantino bediente sich großzügig. In Django Unchained führt er sie alle zusammen: Klassischen Western, Blaxploitation und Slavesploitation, Spaghettiwestern und Spätwestern, vereint in einem Film, der gleichermaßen modern und traditionsbewusst ist.

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Für seine Neuinterpretation des Antihelden Django als entflohener Sklave, der sich auf der Suche nach seiner verschleppten Frau durch den Westen schlägt, bedient sich Tarantino der Versatzstücke des Genres und fügt sie auf unnachahmliche Weise neu zusammen. Dabei geht es Tarantino nicht nur darum, sein enzyklopädisches Filmwissen als cineastische Collage zu inszenieren. Zwischen den tragischen, düsteren, überschäumenden, humorvollen und überraschenden Elementen hat Django Unchained sehr viel zu sagen über die US-amerikanische Vergangenheit und den Umgang damit im Film. 

Zugespitzt und überhöht durch Elemente aus Spaghetti- und Blaxploitation-Western geht es Tarantino um ein zentrales Anliegen: Die Auswirkungen von Sklaverei und Rassismus in unmittelbarem Kontrast zu den Bildern der klassischen Westernfilme zu stellen. Die blinden Flecken und Auslassungen des Genres werden erst durch Django Unchained sichtbar. Dass der Film dabei noch höllisch gut unterhält, obwohl er an manchen Stellen das Lachen im Hals steckenbleiben lässt, zeigt Tarantino auf der Höhe seines Könnens. 

Ein Wildwest-Panorama aus dem Film The Harder They Fall
Die prägnanten Einstellungen, die staubige Weite des Westens: The Harder They Fall

The Harder They Fall geht nun selbstbewusst den logischen nächsten Schritt und greift die Fäden auf. Bereits der Titel ist eine Verneigung vor der Filmgeschichte, er verweist auf den Kultfilm The Harder They Come von 1972 mit Reggae-Legende Jimmy Cliff in der Hauptrolle. Regisseur und Autor Jeymes Samuel erschafft mit seiner Neuinterpretation des Genres – unter tatkräftiger Mithilfe von Jay-Z in der Produzentenrolle – einen modernen Western, der sämtliche vorhergehende Einflüsse ineinanderfließen lässt. Er steht einerseits ganz in der Tradition seiner Vorbilder: Die staubige Weite des Westens, die „Wer schneller zieht, überlebt“-Logik, der ewige Konflikt zwischen Outlaw und Held. Samuel hat die großen Regisseure wie John Ford, Sam Peckinpah, Sergio Leone und Howard Hawks genauestens studiert und sich ihre Bildsprache zu eigen gemacht. 

Diese Elemente nutzt Samuels als visuellen Anker, von dem aus er seine ganz eigene Version des Westernfilms entspinnt. Er gibt die exzessiv inszenierte Gewalt der Spaghetti-Western dazu, versieht das Ganze mit einem Cast aus namenhaften Schwarzen Darsteller*innen und nimmt sein Publikum mit auf einen wilden Ritt in unberührtes Territorium. Nie fühlte sich Western freier an: der Tradition verpflichtet und gleichzeitig von den Fesseln des Genres befreit. 

Samuels nimmt dabei historisch verbürgte Figuren wie Nat Love, Rufus Buck und Stagecoach Mary nimmt und wirft sie ohne weiteres Federlesen in seinen mit HipHop-Beats unterfütterten Film, der sich so gar nicht um geschichtliche Details kümmert. Hier wird sich ein Genre vorgeknöpft und mit Selbstverständlichkeit neu interpretiert.

Dazu ertönt der fraglos beste Western-Soundtrack, seit Ennio Morricone für Sergio Leone komponierte: Ms. Lauryn Hill, Jadakiss, Kid Cudi, Jay-Z und CeeLo Green tragen exklusive Songs bei und injizieren zeitgemäße Modernität in Samuels wilden Westernritt. Denn der verneigt sich sich zwar tief vor den Legenden des Genres, prescht dann aber unerschrocken auf eigenen Wegen voran.

Ein Foto von Trudy Smith und Cherokee Bill, zwei Figuren aus dem Western The Harder They Fall
Regina King als Trudy Smith, Lakeith Stanfield als Cherokee Bill in The Harder They Fall


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Netflixwoche Redaktion
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The Crown, The Harder They Fall und die News der Woche

4.11.21
45m 19s

Mit dabei

Christian Schwochow
Christian Schwochow
Regisseur

Foto:

Anna Herrmann
Anna Herrmann
Schauspieleri

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