Matthias Schweighöfer: „Ich muss niemanden vor den Kopf stoßen“

Der Bubi. Der Quatschkopf. Der Typ, der immer über seine Füße stolpert. Seit er ein Teenager war, steht Matthias Schweighöfer vor der Kamera und lange kannte man ihn vor allem durch Comedy-Rollen wie diesen. Heute, mit 41, strahlt er immer noch Humor und Jugendlichkeit aus. Aber sein Portfolio hat sich deutlich erweitert. Matthias Schweighöfer spielt inzwischen nicht mehr nur in Filmen mit, sondern schreibt, produziert und führt Regie. Und widmet sich auch ernsten Themen. Zum Beispiel im neuen Netflix-Film Die Schwimmerinnen. Darin geht es um die wahre Geschichte der beiden Schwestern Yusra und Sarah Mardini, die es von Syrien über Deutschland bis zu den Olympischen Spielen geschafft haben. Schweighöfer spielt ihren Schwimmtrainer Sven.

Im Interview mit Netflixwoche erzählt Matthias Schweighöfer, was er mit seinen Filmen bewirken will, welche Begegnungen ihn besonders berührt haben, und was er von Spitznamen wie „Schwiegermutters Liebling“ oder „Volksschauspieler“ hält, die ihm die Medien gegeben haben.

Du hast die beiden Schwestern Yusra und Sarah Mardini kennengelernt. Wie war dein Eindruck?

Ich habe die beiden bei der Bambi-Verleihung 2016 kennengelernt und dachte mir, krass, die Geschichte muss man erzählen. Das ist das echte Leben. Mit Yusra war ich gerade in New York, wir haben dort die Presse für Die Schwimmerinnen gemacht und waren beim UN-Sicherheitsrat. Das hat mich mal wieder sehr beeindruckt, was für eine Power sie ausstrahlt. Sie ist diejenige, die die olympische Fackel voranträgt. Sarah ist etwas zurückhaltender, bescheidener. Darum kenne ich sie nicht so gut wie Yusra.

Worüber hoffst du, dass die Zuschauer bei Die Schwimmerinnen diskutieren werden?

Über unseren Anteil: Wenn wir etwas an der Welt verändern würden, was wäre das? Mir geht es gar nicht um die große Frage, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen. Sondern auch um die kleinen Dinge, die wir in unserem eigenen Umkreis tun können. Und wenn das nur ist, dass man mal jemanden am Schalter vorlässt.

Der Film ist voller Hoffnung, trotz des schweren Themas. Siehst du es als deine Aufgabe als Filmemacher, Mut zu machen?

Ich komme aus einem ultra intellektuellen Haushalt. Bei uns wurde viel diskutiert, über tiefe, schwere Themen. Die sind wichtig, die muss man erzählen. Mir macht das auch Spaß. Aber in Zeiten wie diesen ist Licht auch sehr viel wert.

Um gegen die Schockstarre angesichts von Corona, Krieg und Krise anzukommen?

Ja. Ich glaube, das Publikum ist ganz dankbar, wenn es mal zwei Stunden abschalten kann. Oder etwas sieht, das berührt, aber am Ende ein Gefühl von Liebe, Mut und Stärke zurücklässt. Ich möchte sagen: Steht auf, immer wieder, immer wieder.

Du wurdest vor allem mit Comedy-Filmen berühmt. Im Laufe deiner Karriere haben dir die Medien ein paar Titel und Spitznamen gegeben – ich würde dir gern ein paar davon auflisten und von dir wissen, welcher am besten zutrifft. Einverstanden?

Klar!

Ein Spitzname, den du sicher noch oft hörst: „Schwiegermutters Liebling“.

Das kommt wahrscheinlich durch das Nettsein. Ich muss niemandem aufs Maul hauen, ich muss niemanden vor den Kopf stoßen. Wozu auch? Ich versuche eher zuzuhören, statt meinen Senf dazu zu geben.

Was hältst du von „der wahre Volksschauspieler“?

Ach, an das Interview mit der ZEIT erinnere ich mich noch. Volksschauspieler heißt ja eigentlich, dass man was für die Leute macht. Damit sie eine gute Zeit haben. Bist du auf Augenhöhe mit deinem Publikum oder machst du was am Publikum vorbei? Wenn ein Volk dich mag, ist das doch total süß. Vor kurzem hatte ich eine Begegnung mit zwei Influencerinnen. Meine Frau war ganz aufgeregt: „Oh mein Gott, das sind die TikTokerinnen! Ich würde die total gern kennenlernen!“ Also bin ich zu denen hingegangen – und dann waren die aber ganz nervös. Sie meinten zu mir: „Wir sind jetzt Anfang zwanzig und haben die letzten 18, 19 Jahre mit dir verbracht, wir können Sätze aus deinen Filmen auswendig. Wir haben mit unserer Mutter vor dem Fernseher Sonntagabende mit dir verbracht, du hast uns eine sorgenfreie Zeit beschert.“ Und das ist doch toll, wenn Eltern deine Filme weitergeben und du so Teil von deren Geschichte wirst.

„Volksschauspieler“ ist also klar ein Kompliment.

Ja, total.

Der Spiegel hat dich „Der Mann mit dem halben Dutzend Berufen“ genannt.

Ha, ja, das kann sein.

Du bist ja nicht nur Schauspieler, sondern auch Produzent, Regisseur, du machst Musik, du verkaufst Wein mit Joko Winterscheidt, und und und…

Ich habe sehr früh angefangen, krass viel zu arbeiten, schon mit 13. Ich hatte keine typische Jugend mit Reisen und One Night Stands, ich war direkt im System. Ich habe mich immer dafür interessiert, was ich aufbauen kann. Was kommt raus, wenn ich mit Joko einen Wein auf den Markt bringe? Wie fühlt es sich an, wenn 10.000 Leute das eigene Lied singen?

Und, wie war das?

Das war interessant, am Anfang des Konzerts konnten die Leute oft gar nichts mit der Mucke anfangen und nach zwei Stunden haben sie getanzt und mitgesungen. Ich finde es spannend, meine Komfortzone zu verlassen. Vielleicht war auch mein Ego zu groß und ich wollte zu viel machen. Heute nutze ich meine Zeit bewusster und konzentriere mich auf das, was mir wichtig ist.

Letzter Titel: „A talent to watch“, von der New York Times.

(lacht) Das ist doch schön. Thank you, New York Times. Das erinnert mich an eine der berührendsten Sachen, die mir passiert sind. Ich war zum ersten Mal bei Jimmy Fallon. Am Ende der Show hat er auf mich gewartet und meinte: „Hey, deine Energie und dein universeller Humor, das finde ich cool. Ich kenne kaum jemanden aus Deutschland, der so einen Humor hat. Wann immer du möchtest, ruf an und komm in die Show, du bist immer willkommen.“ Das hat mich total berührt, weil ich den Humor von Jim Carrey, Will Smith früher, Michael Bay, von Bruce Willis mit Stirb Langsam und diesen ganzen Filmen in den Neunzigern aufgesogen habe – und dass mein Humor dann in den USA, wo er herkommt, so aufgenommen wird, das hat mich sehr gefreut. Vielleicht ist das „a talent to watch“.

Welche Bezeichnung würdest du selbst für dich wählen?

Uff, schwierige Frage. Hm… „Self-made but not self-confident“.

Oh, interessant. Warum nicht selbstbewusst?

Es gibt Leute, die super selbstbewusst sind. Ich nicht. Ich bin eher zurückhaltend. Selbstbewusstsein steht einem ja auch oft im Weg. Darum finde ich es gut, eher selbst gemacht als nur selbstbewusst zu sein.

Netflixwoche Redaktion

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