Wie realistisch ist Kaleidoskop? Ein echter Bankräuber über den großen Raub aus der Serie

Sieben Milliarden US-Dollar aus einem der sichersten Safes der Welt stehlen. Dabei nicht erwischt werden. Und all das, während ein Hurricane tobt: Wie absurd das klingt, ist der Crew des Meisterdiebs Leo egal. Über 25 Jahre plant das Team aus Panzerknackern, Chemikerinnen und Techies den großen Coup.

Das Besondere: Die Folgen der Netflix-Serie Kaleidoskop kann man in jeder Reihenfolge anschauen, wie man möchte. Aber egal wie man es dreht: Der Raub verlangt der Crew alles ab. Die kreativen Hilfsmittel reichen von vergifteten Orchideen über Peilsender in der Kanalisation bis zum Fake-Augenarzt. Und dann kommen auch noch Gefühle dazwischen. Kann man so etwas in der Realität überhaupt durchziehen – und das auch noch erfolgreich?

Reiner Laux ist ehemaliger Bankräuber. Er hat jahrelang deutsche Bank-Filialen überfallen und ist auf der Flucht nie erwischt worden. Laux hat Netflixwoche verraten, wie realistisch der Raub in Kaleidoskop wirklich ist, mit welchen Tricks er selbst der Polizei lange davonkam und woran Banküberfälle am häufigsten scheitern.

‍Herr Laux, was ist das Wichtigste, das man für einen erfolgreichen Bankraub beachten sollte?

Reiner Laux: Mir ging es immer darum, mich absolut perfekt vorzubereiten. In einer inneren meditativen Klarheit zu sein. Natürlich ist man vor dem Überfall nervös, natürlich hat man Angst. Aber ich habe erkannt: Mut ist eigentlich nichts anderes als die Überwindung dieser Angst. Und wenn ich dann in die Bank reingegangen bin, hat eine Verwandlung stattgefunden. In eine instinktive Raubkatze.

Haben Sie die Figuren aus Kaleidoskop auch an Raubkatzen erinnert?

Nein, die Figuren in Kaleidoskop waren laut, gewalttätig und mental nicht auf ihr Ziel konzentriert. Je mehr man anfängt, herumzubrüllen und mit Gewehren zu fuchteln, umso mehr verliert man den Fokus.

Hätte die Crew besser meditieren sollen, als an der Technik zu basteln und Jose-Cuervo-Tequila zu trinken?

Absolut. Körper und Geist müssen immer eine Einheit sein. Ich habe damals auch sehr exzessiv im inneren Kreis der Rock'n'Roll-Szene von Lissabon gelebt. Aber ein paar Wochen vor den Banküberfällen habe ich immer aufgehört: Kein Alkohol mehr, keine einzige Zigarette, Drogen sowieso nicht. Und jeden Tag Sport. Ich hatte auch so einige Rituale. Zum Beispiel habe ich am Abend vorher immer „Riders on the Storm“ von den Doors gehört, eine leere Patrone auf den Lauf der Pistole gestellt und dann abgedrückt.

Cheers: Bob (Jai Courtney) und Judy (Rosaline Elbay) trinken in der Netflix-Serie Kaleidoskop.

Eine leere Patrone?

Das war eine Art Aberglaube von mir. Wäre sie dabei heruntergefallen, hätte ich den Überfall nicht gemacht. Wenn sie stehenblieb, wusste ich: „Okay, du bist klar.“ Und sie blieb immer stehen.

Wäre der Raub in Kaleidoskop abgesehen von der mentalen Schwäche umsetzbar?

Insgesamt sehe ich Kaleidoskop als intelligentes Planspiel. Das ist spannend als filmische Unterhaltung, aber realistisch ist es nicht umsetzbar. So ein wahnwitziges Vorhaben wird immer scheitern, je mehr Komponenten es hat und je mehr Menschen involviert sind. Umso spannender ist es zwar, aber umso größer ist auch die Fehleranfälligkeit.

Sie haben zehn Jahre lang Banken überfallen, ohne dass Sie je bei der Flucht gefasst worden sind. Was war Ihr Geheimnis, um nicht erwischt zu werden?

Ich habe damals versucht, so minimalistisch wie möglich vorzugehen. Ich habe mir vorher angeschaut: Woran scheitern Banküberfälle? Einer der größten Fehler: Man sollte eben nicht mit einem Auto eine entlegene Bank überfallen, wo überall ein Zeuge lauern kann. Sondern in der Fußgängerzone in der Masse als Fisch unter vielen Fischen untertauchen.

Also ist es keine gute Idee, eine Bank während eines Hurrikans zu überfallen, wenn die Straßen komplett leer sind, wie in Kaleidoskop?

Ich fand die Idee klasse, auch wenn es quasi das Gegenteil meiner Strategie war. Ich habe Banken meistens abends zur Rushhour überfallen, am Ende der Öffnungszeiten. Dann konnte ich mich mit dem Fahrrad durch den Stau hindurch schlängeln wie durch Slalomstangen und die Polizei hing im Verkehr fest.

Mehr als ein großer Raub: In jeder Episode von Kaleidoskop gibt es einen Überfall, Gefängnisausbruch oder Raub.

Gibt es eine Figur aus Kaleidoskop, die Sie an Ihre eigene Bankräuberzeit erinnert hat?

Natürlich ist Leo mir sehr vertraut. Er ist smart, hat Charme und eine positive Ausstrahlung. Womit ich mich bei ihm am meisten identifizieren kann, ist die Revanche-Geschichte. Bei ihm ist nicht das Geld der eigentliche Grund für den Raub. Das ist mir sympathisch.

Sie erzählen, Sie haben Ihren ersten Bankraub begangen, um die Mietschulden Ihrer WG zu begleichen. Hatte das wirklich eher mit Revanche als Geld zu tun?

Ja, in gewisser Weise schon. Die Bank hat uns ja unter Druck gesetzt und ließ nicht mit sich reden. Wir hatten ja diese Deadline: An dem Tag musste das Konto ausgeglichen werden. Ansonsten hätte man uns alles dauerhaft gekappt: Gas, Strom, Telefon. Deswegen hatte ich die Idee, genau die Bank zu überfallen, bei der wir Schulden hatten. Dass ich da reingehe, das Geld „abhebe“ und wieder direkt bei einer anderen Filiale einzahle. Daher ist es schon eine Revanche-Geschichte.

Hat Sie die Presse deshalb „Zorro der Gentleman-Bankräuber“ genannt?

Ja. Mit Zorro wollte ich eine positive Figur entwickeln, mit der man sich identifizieren kann. Er geht ja auch gegen die Mächtigen vor, wie ich gegen die Machtzentralen der großen Banken vorgegangen bin. Diesen einen Aspekt fand ich auch richtig klasse in Kaleidoskop: Am Ende verlieren beide Seiten, die Gangster und die Polizisten. Die Einzigen, die gewinnen, sind wieder mal die Großkapitalverbrecher, die durch kriminelle Machenschaften ihren unermesslichen Reichtum noch zusätzlich mehren. Das fand ich sehr realistisch.

Was hat Ihrer Meinung nach den minutiösen Plan aus Kaleidoskop am Ende scheitern lassen?

Das war vor allem, dass jemand wie Leo, der eigentlich ein Gentleman-Gauner ist, mit einem gewalttätigen, egomanischen Loser wie Bob zusammenarbeitet. Und bei dem Juwelenraub unschuldige Tote und Verletzte in Kauf nimmt. Der Zweck heiligt eben nicht alle Mittel. Bevor der Coup beginnt, ist er damit eigentlich schon gescheitert.

Sie haben sich bei Ihren Banküberfällen ein Gebot auferlegt, nie Gewalt anzuwenden. Expert:innen sagen aber: Banküberfälle ohne Opfer gibt es nicht. Weil schon das Bedrohen mit Waffe eine Form von Gewalt ist.

Ich war als Bankräuber nicht nur dafür bekannt, höflich und ruhig zu sein. Sondern auch schnell: Nie mehr als 30 bis 40 Sekunden haben meine Überfälle gedauert. Aber auch, wenn man keine physische Gewalt anwendet und eine ungeladene Schreckschusspistole benutzt, nimmt man die Menschen für einen kurzen Zeitraum in Geiselhaft. Das ist natürlich ein gewaltsamer Akt. Ich habe viel Zeit im Gefängnis gehabt, mir darüber Gedanken zu machen. Auch mit Psychologen habe ich darüber gesprochen, die mir dann sagten: „Sie haben das ausgeblendet, weil Sie es ansonsten nicht hätten machen können.“

Gut getarnt: Stan (Peter Mark Kendall) und Bob (Jai Courtney) klauen in der Netflix-Serie Kaleidoskop.

Was ist der größte Risikofaktor bei einem Bankraub?

Das ist das Mitteilungsbedürfnis der Bankräuber selbst. Die können meistens nicht an sich halten, prahlen herum, verändern ihren Lebensstil und schmeißen mit dem Geld um sich. Ich habe nie meinen Lebensstil verändert und da hatte ich überhaupt keine Probleme.

Ist das Bankräuberdasein nicht sehr einsam, wenn man mit so einem großen Geheimnis lebt?

Nein, für mich nicht. Bankräuber war ich ja nur während der Überfälle. In diesen Momenten fühlte ich mich allerdings in ein eiskaltes, weites Reich der Freiheit geworfen. Das habe ich persönlich als belebend und intensiv empfunden. Eine Art Einzelgänger war ich schon. Denn ich wusste natürlich, dass ich in Schwierigkeiten komme, wenn ich auch nur eine Person einweihe.

Sie sind 1995 dann doch achteinhalb Jahre ins Gefängnis gewandert. Was hat Sie verraten?

Letztendlich habe ich den Fehler dennoch gemacht und eine einzige Person eingeweiht. Das war meine sogenannte Lebensfreundin, der habe ich vertraut. Sie war auch meine Finanzverwalterin. Kurz nach den Überfällen war die Beute immer an einem neutralen Ort verstaut und die Utensilien waren entsorgt, und ich tauchte wieder in mein Leben unter Künstlern, Studenten und Hausbesetzern ein. Sie hat mir dann immer das Geld dorthin geschickt, wo ich gerade war. Sie hat mein Geheimnis klassisch in einem unbedachten Moment im Bett an einen Geliebten weitergegeben. Diese Person hat mich denunziert und ich bin nach meiner erfolgreich abgeschlossenen Bankräuber-Laufbahn doch noch gefasst worden.

Reiner Laux überfiel zwischen 1985 und 1995 deutsche Banken. Foto: Michael Schäfer.

Zur Person

Reiner Laux überfiel zwischen 1985 und 1995 deutsche Banken und finanzierte damit sein Leben in Portugal. Insgesamt 13 Banken hat er in seiner Verbrecher-Karriere ausgeraubt, manche davon mehrmals. In den Medien wurde Laux bekannt als „Zorro der Gentleman-Bankräuber“, weil er seine Banküberfälle höflich und gewaltfrei beging. 1995 wurde Laux verhaftet, weil die Polizei einen Tipp bekommen hatte. Er verbrachte achteinhalb Jahre im Gefängnis. Heute lebt Laux in Köln, hat ein Buch über sein Bankräuberleben und eines über seine Gefängniszeit geschrieben und engagiert sich im Dachverband der kritischen Aktionäre gegen Monopolkapitalismus.

Emeli Glaser, Netflixwoche

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