Zu Neumatt: „Wie ein Chamäleon, das sich ständig seiner Umgebung anpasst“

In der Schweizer Serie Neumatt lebt Michi Wyss als erfolgreicher Consultant in Zürich ein Leben auf der Überholspur. Doch der unerwartete Suizid seines Vaters gibt nicht nur seinem Leben, sondern dem seiner ganzen Familie eine schmerzhafte Wendung. Michi kehrt auf den heimischen Bauernhof zurück, um mit Mutter, Großmutter und Geschwistern herauszufinden, was aus dem hoch verschuldeten Hof werden soll. Dabei brechen familiäre Konflikte auf, die bisher unter der Oberfläche geschmort haben. Im Interview mit Netflixwoche spricht Hauptdarsteller Julian Koechlin über seine herausfordernde Rolle als Michi Wyss, den Kontrast zwischen Stadt- und Landleben und seine Zukunftspläne.

Herr Koechlin, warum sollten sich Menschen auf der ganzen Welt für eine Serie aus der kleinen Schweiz interessieren?

Weil wir ein Drama gedreht haben, das so überall passieren könnte. Weltweit geraten Familien – aus welchen Gründen auch immer – manchmal in Schieflage, und müssen plötzlich Probleme verhandeln, von denen sie vorher gar nicht wussten, dass sie da sind. Außerdem freue ich mich darüber, dass wir mit Neumatt die schöne Landschaft meiner Heimat und die teils großen Unterschiede zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land einem großen Publikum nahebringen können.

Sie sind in der Stadt sozialisiert und aufgewachsen. War es schwierig für Sie, einen schauspielerischen Zugang zum Landleben zu finden?

Es war Neuland für mich, das stimmt. Von der Arbeit auf dem Hof hatte ich tatsächlich wenig Ahnung und habe vor Drehbeginn ein Coaching bekommen. Wobei, ein kleines bisschen Erfahrung hatte ich doch.

Inwiefern?

Ich musste als Teenager einmal für drei Wochen auf dem Land bei einem Erdbeerbauern mithelfen. Landdienst nennt man das in der Schweiz. Auch wenn ich als 16-Jähriger lieber im Skatepark gewesen wäre, war das schon eine prägende Erfahrung.

Ihr Serien-Charakter Michi Wyss hat zu Beginn mit dem Landleben auch wenig am Hut. Er hat den elterlichen Hof längst verlassen und arbeitet als Consultant in der Stadt. Was ist das für ein Typ?

Er ist wie ein Chamäleon, das sich ständig seiner Umgebung anpasst. Bei seiner Familie auf dem Land will er alles unter einen Hut bringen, zeitgleich aber sein gewohntes Leben in der Stadt weiterführen.

Dabei macht er es den Menschen nicht gerade einfach, ihn zu mögen. Wie ging es Ihnen?

Michi ist ein schwieriger Typ, definitiv. Er kommt nie wirklich irgendwo an, ist nie zufrieden und ständig auf der Suche: Was ist das Beste für mich, wo gehöre ich hin? Sympathischer wird er, finde ich, wenn er im Verlauf der Serie immer mehr sein wahres Gesicht zeigt.

Zu Beginn muss er erst einmal mit dem Tod seines Vaters zurechtkommen. Seine Reaktion: Noch mehr Fokus auf den Job.

Das waren für mich extrem herausfordernde Szenen. Dieses Verdrängen des Schicksalsschlages und dann doch der Zusammenbruch, wenn Michi abends alleine in seiner Wohnung sitzt. Wobei ich nicht finde, dass man hier über ihn urteilen kann. Jeder Mensch geht anders damit um, wenn der eigene Vater stirbt. Ich hoffe jedenfalls, dass ihn die Zuschauer am Ende der ersten Staffel nicht für einen kompletten Idioten halten, sondern ihn zumindest ein wenig ins Herz schließen.

Wenn man sich ihre berufliche Vita ansieht, scheinen Sie selbst auf jeden Fall ein Herz für komplizierte Charaktere wie Michi Wyss zu haben.

Das stimmt. Offenbar finden auch ein paar Menschen im Filmbusiness, dass ich solche zerrissenen Menschen ganz gut rüberbringe. Jedenfalls werde ich immer wieder für solche Rollen angefragt. Als Schauspieler sucht man sich das ja nur bedingt selbst aus, auf welche Typen man irgendwann ein Stück weit festgelegt ist. Aber mir ist es lieber, wenn ich mich an meinen Figuren ein bisschen reiben kann, als immer zum Beispiel den jugendlichen Lover spielen zu müssen.

Neben Ihren Film- und Fernsehrollen stehen Sie noch immer viel auf der Bühne und sind festes Ensemble-Mitglied am Theater Aachen. Nachdem Sie inzwischen für die zweite Staffel von Neumatt vor der Kamera stehen: Wollen Sie weiter in beiden Bereichen arbeiten?

Sehr gerne. Ich liebe es, von der Bühne aus einen direkten und unverfälschten Kontakt mit dem Publikum zu haben. Das Theaterspielen komplett aufzugeben, kann ich mir daher nicht vorstellen. Andererseits ist der Trubel auf einem Filmset auch toll und ich möchte diesen Teil meiner Arbeit nicht missen. Umso großartiger finde ich es, dass die Serie als Format mittlerweile so gut im deutschsprachigen Raum angekommen ist. Als Schauspieler ist es für mich ein Geschenk, eine Figur über den Zeitraum von mehreren Staffeln entwickeln zu können. Ich spüre das jetzt gerade wieder bei den Dreharbeiten zur zweiten Staffel von Neumatt. Ich bin mit Michi Wyss noch lange nicht am Ende der Entwicklung angekommen.

Netflixwoche Redaktion

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