Diese wahren Ereignisse inspirierten Squid Game

2008 verbringt Hwang Dong-hyuk, der Schöpfer von Squid Game, seine Tage in Cafés in Seoul und liest Comics. Die globale Wirtschaftskrise hat auch ihn und seine Familie schwer getroffen. Er, seine Mutter und seine Großmutter mussten sich schwer verschulden. Sein letztes Filmprojekt wurde abgesagt, die Finanzierung fehlt.

In Comics wie Battle Royal, Liar Game und anderen Geschichten, in denen Menschen in Spielen um ihr Leben kämpfen, findet Hwang Trost.

„Ich fühlte mit den Menschen darin mit, die verzweifelt nach Geld und Erfolg strebten“, erzählt er später in einem Interview mit der englischen Zeitung The Guardian. „Wenn es so ein Überlebensspiel in der Realität gäbe, fragte ich mich, würde ich dann mitmachen, um Geld für meine Familie zu verdienen? Mir wurde klar, dass ich als Filmemacher dieser Art von Geschichten meinen eigenen Stempel aufdrücken konnte, und so begann ich mit dem Drehbuch.“

Die Idee zu Squid Game war geboren. In der 14-fach Emmy-nominierten Dramaserie spielen verzweifelte Menschen in einem grausamen Wettbewerb mit. Wer bis zum Ende durchhält, gewinnt das Preisgeld von 4,6 Milliarden Won (rund 34 Millionen Euro). Wer verliert, wird getötet.

Die mysteriöse Organisation, die das dystopische Spiel veranstaltet und Menschen erschießt, gibt es so in der Realität natürlich nicht. Doch Hwang Dong-hyuk war nicht nur von seinem eigenen Leben und Comics inspiriert – einige der Geschichten beruhen auf wahren Ereignissen und Erfahrungen.

Der Streik, auf dem die Geschichte von Protagonist Gi-hun beruht

Bevor der Hauptcharakter der Serie, Gi-hun (gespielt Lee Jung-jae), zum hoch verschuldeten, arbeitslosen Spieler wurde, arbeitete er in einer Autofabrik. Als die Firma pleite ging, wurden er und seine Kollegen entlassen. In der fünften Episode sehen wir in einem Flashback, wie er sich an das brutale Ende der Streiks erinnert, die darauf folgten. Er und seine Kollegen verbarrikadierten sich für Tage in der Fabrik – und wurden von der Polizei und Sicherheitskräften brutal verprügelt. Gi-hun musste zusehen, wie vor seinen Augen ein Kollege erschlagen wird.

Die Autofabrik „Dragon Motors“ aus der Serie ist fiktiv, doch die Szene hat ein wahres Vorbild: Die Schließung des Ssangyong-Werks und die darauf folgenden Proteste im Jahr 2009.

2009 wurden 46 Beschäftigte von Ssangyong Motors plötzlich gefeuert. Die Arbeiter wehrten sich und besetzten die Fabrik. 77 Tage hielten sie durch, während sie immer wieder von der Polizei, Sicherheitskräften und angeheuerten Schlägern angegriffen wurden.

Mitte Juli begann die Polizei einen Großangriff. Mit Tausenden von schwer bewaffneten Polizisten, Wasserwerfern und Hubschraubern, die Tränengas versprühten. Die streikenden Arbeiter und ihre Familien wehrten sich mit Steinschleudern, Molotow-Cocktails und ihren bloßen Händen.

Wie in Gi-huns Geschichte in Squid Game endete auch dieser Streik tödlich: Es wird geschätzt, dass rund 30 Arbeiter und Mitglieder ihrer Familien während des Streik und an seinen Folgen starben. Einige an ihren Verletzungen, andere begangen Suizid.

Südkorea gehört zu den fünf Ländern weltweit mit der höchsten Suizidrate – und belegt auch in anderen Bereichen traurige Spitzenplätze. Schicksale wie die der hoch verschuldeten 456 Spieler*innen in Squid Game sind in dem Land keine Ausnahme.

Das südkoreanische Wirtschaftswunder – und sein Preis

Südkorea ist in den vergangenen Jahrzehnten in Rekordgeschwindigkeit aufgestiegen: Von einer der ärmsten Nationen, angewiesen auf Hilfszahlungen der USA, zur derzeit zehntstärksten Wirtschaftsmacht der Welt. Doch vom „Wunder am Han-Fluss“ – benannt nach dem deutschen Wirtschaftswunder, auch bekannt als das „Wunder am Rhein“ – profitieren nur wenige.

In keinem anderen asiatischen Land sind so viele Menschen so hoch verschuldet. Den durchschnittlichen Haushalt in der Hauptstadt Seoul plagen Schulden in Höhe von 43.000 Euro. Und laut einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gehört Südkorea unter den untersuchten 33 Ländern zu denen mit der höchsten Einkommensarmut (Platz 5).

Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage noch verschlimmert, die Schulden sind noch gestiegen, Zigtausende haben ihre Arbeit verloren.

Vor allem die Alten sind betroffen. Rund der Hälfte der über 65-Jährigen reicht ihre Rente nicht zum Leben. Sie müssen wie die Mütter der Kindheitsfreunde Gi-hun and Sang-woo (Park Hae-seo) in der Serie jeden Tag schuften.

Die wahren V.I.P.s

Während die Spielerinnen und Spieler hungern, sich gegenseitig töten müssen oder erschossen werden, wenn sie in einem der Spiele scheitern, sieht eine Gruppe zu: die sogenannten V.I.P.s. Maskierte Milliardäre, die es sich mit einem Festmahl gemütlich machen und die Spiele verfolgen wie die Mächtigen im Kolosseum.

Die V.I.P.s wurden von den Fans und in Rezensionen hitzig diskutiert. Vor allem, weil die englischen Dialoge hölzern klangen. Aber sie wurden auch diskutiert, weil vor allem das US-amerikanische Publikum es nicht gewohnt ist, sich in der Rolle der Schurken zu sehen. Dass nicht-englischsprachige Serien einen so beeindruckenden Welterfolg feiern wie Squid Game, ist noch selten.

In den USA gibt es noch das Selbstbild als Retter, der Südkorea die Demokratie gebracht hat und in schlimmster Armut mit Hilfsprogrammen ausgeholfen hat. In Südkorea ist das USA-Bild gemischter. Schließlich waren es die USA und die Sowjetunion, die 1945 Korea in zwei Teile getrennt haben, und die jahrelang die Politik und Wirtschaft in Südkorea stark mitbestimmten.

Eine Trennung, die bis heute schwere Folgen für die Bevölkerung hat.

Sae-byeoks Geschichte: Nordkoreanische Geflüchtete in Südkorea

Kang Sae-byeok oder Nummer 067 (gespielt von Jung Ho-yeon) ist mit ihrem kleinen Bruder aus Nordkorea in den Süden geflüchtet. Nun muss sie sich als Taschendiebin durchschlagen, während ihr Bruder im Kinderheim lebt. Sie versucht verzweifelt, genug Geld aufzutreiben, um auch ihre Mutter aus Nordkorea zu befreien und die Familie endlich wieder zu vereinen.

Seit der Hungersnot in den 1990er-Jahren sind mehr als 30.000 Menschen aus Nordkorea in den Süden geflohen. Doch in Südkorea erwartet sie keineswegs das Paradies. Viele von ihnen erleben die Probleme, mit denen auch Sae-byeok in Squid Game ständig konfrontiert wird. Sie erzählen von Diskriminierung, von großen Problemen, einen Job zu bekommen, von Armut und von dem Schmerz, von ihrer Familie getrennt zu sein, ohne Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen.

Auch wenn die Serie auf wahren Ereignissen in Südkorea beruht: Squid Game ist eine globale Geschichte

Viele dieser Referenzen konnte nur das südkoreanische Publikum sofort erkennen. Doch Squid Game ist die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten, weil sie im Kern eine globale Geschichte erzählt. Weil der Schmerz, die Hoffnung, die Sehnsüchte der Figuren überall verstanden werden, auch wenn sie koreanisch sprechen.

Wie Drehbuchautor und Regisseur Hwang Dong-hyuk erzählt: „Ich wollte etwas schaffen, das nicht nur für die Koreaner, sondern für die ganze Welt von Bedeutung ist. Das war mein Traum.“

Netflixwoche Redaktion

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