„Wir sind alle unterschiedlich und doch gleich“ – Baran bo Odar und Jantje Friese über 1899

Mit 1899 bringen Jantje Friese und Baran bo Odar nach Dark ihre zweite Netflix-Serie an den Start – und wieder stellen sie die Fans vor mysteriöse Rätsel. Vier Jahre lang arbeitete das Duo an der Drama-Sci-Fi-Serie. In 1899 ist ein Auswandererschiff auf dem Weg von Europa nach New York. Mitten auf dem offenen Meer empfängt es plötzlich Signale eines verschollenen geglaubten Schiffs.

Im Interview mit Netflixwoche verraten die Showrunner, wie sie die Arbeit mit der Vielfalt an Sprachen am Set gemeistert haben und ob sie jemals eine Comedy-Serie schreiben würden.

Wie schon in Dark sind in 1899 die Träume der Charaktere ein zentrales Handlungselement. Was fasziniert euch daran?

Jantje Friese: Ich habe letztens etwas von Christopher Nolan gelesen, was ich total unterschreibe: Im Traum passiert etwas Eigenartiges, weil man gleichzeitig erschafft und erlebt. Du hast im Traum das Gefühl, dass du in ganz komische Szenarien geschmissen wirst – aber am Ende bist du selbst derjenige, der diesen Film kreiert. Das ist für uns ein spannendes, eigenartiges und absurdes Paradox.

An welchen Moment der Dreharbeiten erinnert ihr euch am liebsten?

Baran bo Odar: Ein besonders schöner Moment war gleich am ersten Drehtag, als wir für das First Reading mit dem gesamten Cast in einem Raum saßen. Wegen Corona war die Anreise aus der ganzen Welt kompliziert, aber wir haben es geschafft, alle zusammen zu sein. Die Serie stand aufgrund der Pandemie kurz zuvor noch auf der Kippe. Dass es dann doch geklappt hat, das war ein wunderschönes Gefühl. Weil wir uns dachten: „Jetzt beginnt hier eine Reise. Wir sind alle zusammen, wir sind alle unterschiedlich und doch gleich.“

Der Cast und auch das Team hinter 1899 besteht aus vielen verschiedenen Nationalitäten. Warum war euch das wichtig? 

Jantje: Für uns war von Anfang an klar: Wenn wir eine Geschichte mit einem so europäischen Kern machen, dann wollen wir uns da nicht einfach drüberstülpen, sondern den Kulturen treu sein. Gerade in der Figurenentwicklung haben uns die Autoren und Autorinnen der einzelnen Länder ganz viele Details mitgegeben, was zum Beispiel Eigenarten angeht. Wir kennen das ja selbst aus amerikanischen Filmen…

…in denen dann der Nazi mit sächsischem Dialekt auftritt. 

Jantje: Genau. Da kommt dann der deutsche Bösewicht und spricht eigenartige Sätze. Wir wollten darauf achtgeben, dass sich jeder gut vertreten fühlt.

Bo: Es war auch interessant zu sehen, dass sich alle sofort gut verstanden haben und es überhaupt keine Barrieren gab, trotz der unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Beim Drehen selbst war es schon manchmal tricky. Es gibt aber viele Szenen, wo es genau darum geht, dass man sich eben nicht versteht.

Regisseur Baran bo Odar. Foto: Thomas Schenk

Wie habt ihr die Sprachprobleme am Set gelöst?

Bo: Ich hatte phonetische Dialoge auf Papier zum Mitlesen, damit ich wusste, was im Kantonesischen gerade gesagt wird. Das habe ich dann aber schnell weggelegt, weil ich mich voll auf die Performance konzentrieren wollte. Ich habe dann angefangen, mir die Schauspieler*innen als Musikinstrumente vorzustellen: Kantonesisch ist die Geige, die Violine ist Französisch... Dadurch habe ich gelernt, wie die Sprachen klingen müssen.

Mit 1899 bleibt ihr eurem Hang zum Düsteren treu. Wie schafft ihr es trotzdem, am Set für Spaß zu sorgen?

Bo: Das ist ganz einfach: Ich bin total der Clown. Ich mache ständig Witze. Ob die gut sind, keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht, aber jeder lacht. Aber ich bin ja auch der Regisseur, da müssen alle lachen. Spaß beiseite: Ich versuche immer, am Set eine Leichtigkeit zu kreieren, weil der Rest schon anstrengend genug ist. Diese vielen Stunden, die alle dort verbringen. Und dann haben wir thematisch auch Szenen, in denen schlimme Sachen passieren. Umso wichtiger ist es mir, dass man sich immer wieder daran erinnert: Das ist nicht die Realität. Wir kreieren etwas, das die Realität nur abbildet. Ich finde, dass „Schauspielern“ im Deutschen ein schönes Wort ist, weil da Spielen drin steckt. Das sage ich immer wieder zum Cast: Nicht vergessen, wir spielen hier.

Was habt ihr noch für 1899 aus Dark gelernt?

Jantje: Ganz viele Komponenten. Während Dark haben wir tatsächlich überhaupt erst gelernt, was es bedeutet, ein Showrunner zu sein und wie man eine Serie aufbaut. Wir kommen traditionell aus dem Filmbereich und das sind zwei ganz unterschiedliche Erzählformen. Durch Dark haben wir alles von Beginn an gelernt. Ich glaube, wir hätten uns einem Projekt wie 1899 nicht gestellt, wenn wir nicht vorher die Reise mit Dark gemacht hätten.

Drehbuchautorin und Produzentin Jantje Friese. Foto: Thomas Schenck

Ihr zwei seid ja auch privat ein Paar. Was ist das Beste daran, zusammenzuarbeiten? 

Bo: Das Beste daran ist sicher, dass man sich nicht veräppeln kann. Gerade beim Filmemachen ist es oft so, dass man manchmal unbedingt etwas Bestimmtes machen möchte, zum Beispiel in einem Helikopter sitzen oder ein ganzes Gedicht über zwei Seiten einbauen. Und weil wir uns so gut kennen, sind wir wahnsinnig gut darin, dem anderen zu sagen: „Du Bo, ich glaube, du willst nur in einem Helikopter sitzen in der Szene. Und das Gedicht ist schön, aber wir langweilen das Publikum, wenn wir es jetzt zwei Seiten lang zitieren.“ (lacht) Wir sind immer ehrlich miteinander, was man so nur in einer Partnerschaft schaffen kann.

Klingt auch ein bisschen anstrengend.

Bo: Ja. Das kommt auch mit vielen Hürden, weil man nicht abschalten kann. Wir reden ständig über unsere Arbeit. Aber jetzt haben wir es schon fast 20 Jahre geschafft, dann schaffen wir es vielleicht nochmal so lange.

Was kommt als Nächstes? Könnt ihr euch vorstellen, irgendwann mal eine Comedy-Serie zu machen?

Jantje: Dazu sage ich ganz klar Nein. Ich glaube aber, dass Bo das gern mal machen würde, oder?

Bo: So was wie Norsemen finde ich super, also ganz schwarzen Humor. Ich mache immer viele Witze am Set, ich mag das schon sehr. Ich glaube aber, unsere Natur ist auf jeden Fall die dunkle Drama-Sci-Fi-Ecke.

Netflixwoche Redaktion

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