Im Westen nichts Neues: Oscar-Gewinner Volker Bertelmann über die Musik

Als Volker Bertelmann die Partitur für Edward Bergers Antikriegsfilm Im Westen nichts Neues schrieb, inspirierten ihn zwei ungewöhnliche Dinge: ein altes Harmonium, das er von seiner Urgroßmutter geschenkt bekommen hatte und die BBC-Seifenoper The Archers.

Sich an unterschiedlichen Quellen zu bedienen, ist nur angemessen für die nun mit einem Oscar ausgezeichnete Filmmusik von Im Westen nichts Neues. Das Antikriegsdrama, das auf dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque basiert, spielt im Ersten Weltkrieg. Es geht um Paul Bäumers Reise, die sich nach seinem Eintritt in die deutsche Armee von einer Wahnidee zu einem Pfad der Zerstörung entwickelt. Die Musik ist voller Widersprüche und Spannungen.

„Als ich an einen Kriegsfilm dachte, dachte ich: Ich könnte entsetzt sein oder Angst haben“, sagt Bertelmann. „Aber ich fühlte etwas in meinem Magen, das sehr eng mit der Frage verbunden war: Wie verbringe ich meine Zeit? Es ging vielmehr um den Grund für unser Sein. Ich hatte das Gefühl, dass [die Partitur] vielleicht beide Seiten braucht.“

Diese Ausgewogenheit und Dissonanz brachten Bertelmann bereits einen BAFTA-Award und nun seinen ersten Academy Award ein. Der Komponist, der unter dem Namen Hauschka auftritt, bringt einen breiten Erfahrungsschatz für Im Westen nichts Neues mit. Als Komponist, Pianist und experimenteller Musiker hat er an Filmen wie dem Oscar-nominierten Lion (2016) gearbeitet, sowie an Serien wie Gunpowder und Life After Life. Zudem hat er über zwanzig Alben und EPs veröffentlicht und arbeitet als Artist in Residence beim MDR Rundfunk-Sinfonieorchester in Leipzig.

Bertelmann und Regisseur Edward Berger hatten bereits zuvor an der Serie Patrick Melrose zusammengearbeitet. Und als Berger Bertelmann von Im Westen nichts Neues erzählte, dachte der Komponist sofort an sein Harmonium. „Es strahlt etwas Altes aus, das ich versucht habe, in einen neuen Zusammenhang zu stellen“, sagt Bertelmann. Das Erbstück-Instrument stammt aus der Zeit, in der Erich Maria Remarque den Roman schrieb.

Die Preisträger von Im Westen Nichts Neues: Regisseur Edward Berger, Komponist Volker Bertelmann und Szenenbildner Christian M. Goldbeck.

Bertelmann nutzte das Alter des restaurierten Instruments zu seinem Vorteil. Er nahm all die Nebengeräusche des Instruments auf und arbeitete sie in die Musik ein – um so die Menschlichkeit in einer Geschichte über Brutalität zu betonen: „Normalerweise entfernt man alle Geräusche, wenn man in einem richtigen Studio aufnimmt. Ich hatte immer das Gefühl:  Wenn Musik, Geräusche und Gespräche zusammenkommen, fühlt es sich viel menschlicher an.“ Als sitze man vor einem brennenden Kamin in einem Haus in Wales. The Archers kommen aus der Küche, ein Vogel zwitschert draußen und ein Mann fährt vorbei. „Du denkst: ‚Oh, das ist insgesamt eine wunderschöne Komposition.‘“

Durch die Mischung von natürlichen und industriellen Tönen erwies sich Bertelmanns Partitur als perfekte Ergänzung zu Bergers Antikriegserzählung. Das dreistimmige Bass-Leitmotiv, das innerhalb der ersten sechs Minuten des Films eingeführt und durchgehend wiederholt wird, vermittelt den Ernst und die Universalität der Geschichte: „Wir mussten darüber nachdenken, wie wir bei diesem Stück Pathos vermeiden können. In unserem Fall ist das der Erste Weltkrieg, aber er ist natürlich nahtlos auf die heutigen bewaffneten Auseinandersetzungen übertragbar; es ist etwas Relevantes und Explosives, absolut aktuell.“

Dieser Text erschien zuerst im englischsprachigen Magazin Netflix Queue. Für Netflixwoche wurde er übersetzt und leicht bearbeitet.

Netflixwoche Redaktion

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