​​„Für mich ist Agatha Christie das Fundament“: Rian Johnson spricht über seinen Film ​​Glass Onion

„Wir Krimiverrückten“ – Krimis erleben einen Boom. Vor allem bei den Deutschen. So ist es zumindest beim Nachrichtenmagazin Stern zu lesen. Im Fernsehen, auf den Kino-Leinwänden und in Streaming-Charts wird fröhlich gemordet. Glaubt man den Kritiken zum neuen Film Glass Onion: A Knives Out Mystery, der ab jetzt auf Netflix läuft, sind Detektive sogar die neuen Superhelden. Doch was macht einen Krimi besonders gut? Einen Ermittler wie Benoit Blanc überraschend?

Der US-Amerikaner Rian Johnson weiß es. Er hat Glass Onion geschrieben, gedreht und produziert. Genauso den ersten, mittlerweile preisgekrönten Teil Knives Out. In beiden Filmen hat er Ex-Bond-Darsteller Daniel Craig in die Rolle des Benoit Blanc gesteckt und zum Ermitteln fortgeschickt. War es in Knives Out noch das kalte New England, ist es in Glass Onion die private griechische Insel eines Milliardärs. Dort läuft ein Krimispiel unter Freund*innen anders als geplant. Wie immer gilt: Nichts ist, wie es scheint.

Netflix hat den 49-jährigen Filmemacher getroffen und mit ihm über die Inspiration für Glass Onion gesprochen, über den häufigsten Fehler beim Krimi-Schreiben und darüber, was er von Agatha Christie gelernt hat.

Wann wusstest du, dass du Knives Out fortführen willst?

Rian Johnson: Während wir den ersten Film drehten, sprachen Daniel Craig und ich bereits ganz offen darüber: „Wenn es den Leuten gefällt, wäre es dann nicht toll, weiterzumachen?“ Die Idee, dass wir hier jedes Mal etwas sehr Lustiges und Einzigartiges kreieren, bestand schon immer. Und es fühlte sich wirklich so an, als würden wir an einer eigenen Version unseres gemeinsamen Lieblingsgenres arbeiten. Dabei hatten wir keine Ahnung, wie die Zuschauer darauf reagieren würden. Es war dann eine sehr angenehme Überraschung.

Knives Out erhielt Preise, Glass Onion startet auf Netflix bereits mit positiven Kritiken. Hattest du je Zweifel, dass die Fortsetzung nicht gelingen könnte?

Sofort! Wenn man einen Film herausbringt und die Leute ihn sehen, passiert eine seltsame Alchemie: Es wird schnell zu etwas anderem, bis der Punkt erreicht wird, an dem man sogar vergisst, wie man den Film gemacht hat. Das war schon ein wenig beängstigend. Ich hatte bisher auch noch nie eine Fortsetzung zu einem meiner eigenen Filme gedreht.

Dennoch hast du weitergemacht.

Für mich ist Agatha Christie das Fundament dieses Genres. Ein Genre, das ich seit klein auf lese und das mir sehr vertraut ist. Es ging nicht nur darum, dass jede Geschichte an einem anderen Ort spielt oder andere Charaktere hat. Oft war es ein Genre, das Christie mit dem Krimi verband – sei es eine Gothic-Romanze, ein Slasher oder Serienkiller-Thriller. Jedes Mal fand sie einen Weg, der sich einzigartig und frisch anfühlte. Und man merkte, dass es sie kreativ herausforderte. Denn erst wenn man das Buch bis zum Schluss gelesen hatte, wurde klar, was sie am Schreiben reizte: Es war ein völlig neuer Ansatz für die Erzählung. Also habe ich mich einfach darauf eingelassen. Und plötzlich ging es nicht mehr um: „Junge, wie kann ich Knives Out toppen?“ Sondern: „Wie kann ich diese neue Sache so gut wie möglich umsetzen?“

Und wie lässt sich diese neue Sache so gut wie möglich umsetzen?

Ein Satz, auf den ich immer wieder zurückkomme, wenn ich über den ersten Film spreche: „Es ist eine Achterbahn und kein Kreuzworträtsel.“ Ein häufiger Fehler beim Schreiben von Krimis ist zu denken, dass das Publikum alles analysiert und herausfindet. Wenn ich aber beispielsweise einen Krimi lese, gebe ich mit der Falllösung nach etwa einem Drittel des Buches auf. In Wirklichkeit geht es also um eine gute Geschichte. Wie alles zusammenkommt und ineinandergreift, macht dann ein Teil des Spaßes an diesem Genre aus.

Wie bist du konkret an die Geschichte für Glass Onion rangegangen?

Ähnlich wie bei Knives Out dachte ich zunächst an eine sehr konzeptionelle Struktur: „Hm, es wäre interessant, einen Krimi zu machen, in dem dies und das passiert, und das hat dann diese Wirkung auf das Publikum.“ Gleichzeitig habe ich in meinem Kopf die Dinge umgedreht, über die ich in den Nachrichten, in der Welt, in meinem Leben nachgedacht habe. Eine Sache, die bei Knives Out und auch bei zukünftigen Teilen eine Rolle spielt, ist, dass sie immer in der Gegenwart verankert sind. Wenn das mit der Struktur sowie der Idee für ein bestimmtes Rätsel verschmilzt, kann es losgehen.

Das klingt leichter gesagt als getan.

Es ist ein Ausprobieren. Selbst bei großen Momenten kann man beim Zuschauen am Set immer noch feststellen, ob es sich authentisch anfühlt oder nicht. Die wirklichen Entscheidungen trifft man dann erst beim Schnitt. Das ist ein Teil, über den nicht viel gesprochen wird – aber das ist wirklich der Punkt, an dem man den Ton des Films formt. Man entscheidet, was man weglassen und was man einbauen will.

Für Glass Onion hast du nun ein tropisches Setting gewählt. Warum?

Ich habe das Drehbuch während des Lockdowns 2020 geschrieben und ich wollte mehr als alles andere am Strand sein (lachen). Ich weiß nicht, ob es eine Unterwanderung war, aber ich hatte auf jeden Fall das Gefühl, dass es Spaß machen würde, ein klares Zeichen zu setzen. Und dass dies nicht der erste Film sein wird, den wir so angehen. Wir werden andere Orte besuchen. Wir werden andere Schwingungen erleben. Wir werden die Zuschauer jedes Mal auf eine ganz andere Art und Weise mitnehmen.

Die Stimmung wirkt diesmal heiterer.

Für mich macht die Tonalität wirklich Sinn! Vor allem mit den Figuren. Es sind Politikerinnen, Rockstar-Wissenschaftler, Mode-Unternehmerinnen, YouTube-Influencer. Sie sind alle etwas abgehobene Charaktere, weil sie das im wirklichen Leben auch sein würden. Worüber wir den ganzen Film über sprechen, ist in gewisser Weise diese fast zirkusartige Umgebung der Lügen. Das heißt, dass der Ton vom Naturell der Charaktere bestimmt wird. Und das endet ziemlich lustig.

Apropos Charaktere: Inwiefern hat sich die Rolle von Detektiv Blanc verändert?

Im ersten Film war Marta, die Figur von Ana de Armas, die Protagonistin – Blanc eine Bedrohung. Man war besorgt, dass er sie fangen und am Ende ausliefern würde. In diesem Film nehmen wir nun gleich zu Beginn die Perspektive von Blanc ein. Er erhält eine Einladung für diese Insel, wir sehen die Leute, die Welt durch seine Augen. Er ist damit eine viel zentralere Figur und man lernt ihn definitiv ein bisschen besser kennen.

Brachte Blanc dich eigentlich auf den Titel des Films? Oder waren es doch, wie viele Kritiker*innen schreiben, die Beatles?

Nein. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir den Milliardär Miles Bron auf dieser privaten Insel haben. Dort gibt es ein Gebäude oder eine Villa, die er gebaut hat. Gleichzeitig bin ich immer auf der Suche nach etwas Lustigem, was Blanc als überspitzte Metapher verwenden kann. Außerdem dachte ich über die Geschichte nach – darüber, dass ein Teil des Spiels darin besteht, dass es sich am Ende nicht um eine komplizierte, versteckte Sache handelt. Das alles von Anfang an klar ersichtlich ist. So kam mir die Idee mit dem Glas.

Und die Zwiebel?

Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe mein iPhone herausgeholt und meine Musikbibliothek nach dem Wort Glas durchsucht und dachte: „Es muss doch ein paar gute Glas-Songs geben! Ist es eine gläserne Festung? Ein Schloss aus Glas? Ein gläserner Mann?“ Das Erste, was mir dann einfiel, war Glass Onion von den Beatles. Denn ja, ich bin ein großer Fan. Es ist auch die perfekte Metapher für den Film: Wir geben Blanc etwas, auf dem er drauf rumkauen kann – das ist genau das Spiel, das wir mit dem Publikum auch betreiben.

Das Interview erschien zuerst bei Netflix und wurde für diesen Artikel übersetzt und leicht gekürzt.

Netflixwoche Redaktion

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