Trailer Park Boys: Und sie lernen nichts dazu

In unserer Serie „Geheimtipp“ stellen wir in loser Folge Empfehlungen aus der Redaktion vor – Filme und Serien, die nie in den Top 10 auftauchen, es aber definitiv verdient hätten. Diesmal: Die Serie Trailer Park Boys.

Wenige Stunden bevor er aus dem Gefängnis entlassen wird, gibt Julian einem Filmteam ein Interview. Er trägt einen orangen Overall und schaut ernst in die Kamera. „Ich werde zurück in den Trailer Park ziehen“, sagt er. „Und ein anständiges, sauberes Leben führen. Und ich werde nicht mehr mit Ricky abhängen.“ Ricky ist Julians bester Freund. Er sitzt auch im Gefängnis und wird nach Julian vom Kamerateam interviewt. Dass Julian nichts mehr mit ihm zu tun haben will, weiß Ricky noch nicht. „Heute Abend“, sagt er, „werde ich mich bei Julian besaufen. Wenn ihr wollt, könnt ihr das filmen. Aber wir werden wirklich extrem besoffen sein. Hoffentlich gibt es auch ein bisschen Dope.“

So beginnt die erste Folge von Trailer Park Boys: eine kanadische Mockumentary-Serie, von der es mittlerweile 13 Staffeln gibt. Die ersten zwölf Staffeln kann man sich auf Netflix anschauen. In Kanada und den USA hat die Show eine riesige Fangemeinde. In Deutschland hingegen ist Trailer Park Boys fast unbekannt. Ein Fehler. Denn Trailer Park Boys ist eine der originellsten und komischsten Mockumentarys, die es gibt.

Vor allem eine Sache macht Trailer Park Boys anders als die meisten Serien: Die Figuren lernen nichts dazu. Julian nimmt sich zwar am Anfang der ersten Staffel vor, ein anständiges Leben zu führen und Ricky aus dem Weg zu gehen. Aber diesen Plan hält er nur eine Folge lang durch. Dann lässt er Ricky in seinem Auto schlafen, als der von seiner Freundin vor die Tür gesetzt wird. Kurz danach gibt Julian auch die Idee von einem „anständigen, sauberen Leben“ auf. Und baut mit Ricky zusammen Marihuana an. Zwischendurch klauen sie noch für einen korrupten Tierarzt einen Rasentraktor, spielen aus Versehen in einem Pornofilm mit dem Titel „From Russia With The Love Bone“ mit und liefern sich eine Schießerei mit einem paranoiden Drogendealer. Am Ende der ersten Staffel sind Julian und Ricky wieder da, wo sie angefangen haben: im Gefängnis.

Diesem Erzählprinzip bleibt Trailer Park Boys alle 12 Staffeln lang treu: Jede Staffel endet damit, dass Ricky und Julian verhaftet werden und zurück ins Gefängnis müssen. Und jede neue Staffel beginnt damit, dass sie wieder entlassen werden und einen neuen Plan schmieden, der sie schnell reich machen soll und fast immer etwas mit Marihuana zu tun hat. Schon in der vierten Folge der ersten Staffel fasst eine Freundin von Julian und Ricky das Problem perfekt zusammen: Wenn die beiden nur Gras verkaufen würden, sagt die Freundin, wäre alles gut. „Doch irgendwann bringen sie Pistolen ins Spiel und fangen an herumzuballern.“

Die Serie begegnet ihren Figuren mit Liebe

Manchmal wird auch Bubbles verhaftet, der engste Freund von Julian und Ricky. Bubbles verdient sein Geld damit, dass er Einkaufswagen von einem Supermarkt klaut und an einen anderen verkauft. Er lebt zusammen mit ungezählten Katzen in einem selbst zusammengebauten Gartenhaus, trägt eine Hornbrille mit Vergrößerungsgläsern, hat einen Sprachfehler und wäre im echten Leben wohl so etwas wie der Dorfdepp von Sunnyvale: das schwächste Glied der Kette. Doch Trailer Park Boys ist keine hämische Show. Die Serie begegnet ihren Figuren mit Liebe. Und deshalb wird Bubbles von allen Menschen in Sunnyvale geschätzt: Gerade, weil er anders ist.

Und vielleicht macht das die Serie so besonders: Eigentlich spielt Trailer Park Boys an einem Ort, an dem die Verlierer*innen der kanadischen Gesellschaft leben: Alkoholiker*innen, Arbeitslose, Kleinkriminelle, White Trash. Doch die Serie stellt nicht die Tatsache in den Vordergrund, dass wir uns am unteren Ende der kapitalistischen Nahrungskette befinden. Sie erzählt vor allem eine Geschichte über Freundschaft, Loyalität und Akzeptanz. Wer braucht schon ein anständiges, sauberes Leben, wenn er Freunde wie Ricky und Bubbles hat.

Lennardt Loss, Netflixwoche

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