Regisseurin Vanessa Jopp und Naomi Krauss über Faraway: „Im besten Fall befreit eine Frau die nächste“

„Helfen Sie mir, es ist zu eng, ich kann nicht atmen“, fleht Zeynep (gespielt von Naomi Krauss). Sie zieht an ihrem beigefarbenen Body, stöhnt, ächzt. „Ok. Ok. Ok”, sagt Josip (Goran Bogdan). Er zieht und reißt ebenfalls, bis die Shapewear von Zeyneps Körper wie ein Gummiband von Schnittblumen springt.

Die Szene stammt aus der neuen romantischen Komödie Faraway, die ab dem 8. März auf Netflix zu sehen ist. Der Film von Vanessa Jopp erzählt von Zeyneps Befreiung –  nicht nur aus ihrem Body, sondern aus einem unglücklichen Leben.

Ihre Reise geht von München und dem türkischen Feinkostladen ihres untreuen Ehemannes (gespielt von Adnan Maral), nach Kroatien, wo sie nach den Wurzeln ihrer verstorbenen Mutter sucht. Sie verliebt sich in das Leben, in Josip und verbessert die Beziehung zu ihrer eigenen Tochter (Bahar Balci).

In Kroatien sucht Zeynep (Naomi Krauss) nach ihren Wurzeln.

Da Zeynep Ende 40 ist, zeigt Faraway eine Lebenswelt, die wir bei Netflix aus Serien wie Immer für dich da und Süße Magnolien zwar kennen – verglichen mit der Vielzahl an Produktionen, die über junge Frauen gedreht werden, jedoch recht selten sehen.

Wie empfinden das Regisseurin Vanessa Jopp und Hauptdarstellerin Naomi Krauss? Welche Erfahrungen haben sie bei Faraway gemacht? Im Interview mit Netflixwoche erzählen sie über das Altern als Frau, Selbstzweifel und romantische Heldinnen und Helden mit Speckröllchen.

Frau Jopp, Frau Krauss, Faraway soll ein Film „von Frauen für Frauen” sein. Warum?

Vanessa Jopp: Wenn wir uns die Departements bei diesem Film anschauen, ist es bemerkenswert, dass fast alle von Frauen besetzt sind. Das ging schon bei den Meetings mit Netflix los: Die Autorin Jane Ainscough, die Produzentin Viola Jäger und ich saßen nur mit Frauen von Netflix zusammen. Dann haben wir eine Producerin, Kostüm- und Maskenbildnerinnen, eine Editorin, eine Musikerin. Hinzu kommt noch, dass ich unbedingt eine Kamerafrau wollte. Eine, die einen ganz zärtlichen, weiblichen Blick auf die Hauptfigur wirft.

Denn diesen Blick haben nur Frauen?

Jopp: Natürlich haben den auch Männer oder nicht-binäre Menschen! Aber bei diesem Film schien mir aufgrund des Themas eine Kamerafrau am besten zu passen. Denn wir zeigen in Faraway eine Frau, die nicht 20 Jahre alt ist. Eine, bei der wir nicht einfach mal ein bisschen Licht anmachen und dann ist alles schon glattgebügelt. Wir brauchten jemanden, die ein Gefühl dafür hat, eine Frau Ende 40 zu filmen – und natürlich auch großartige Bilder macht. Mit Katharina Bühler haben wir sie gefunden.

Ist es schwierig, Frauen in der Produktion zu finden?

Jopp: Nein. Es mag Stellen im Bereich Ton oder Licht geben, in denen es tendenziell weniger Frauen gibt. Aber wer mit Frauen arbeiten möchte, der findet sie.

Naomi Krauss: Ich muss hinzufügen, dass es für mich als Schauspielerin traumhaft war, ein Team von Frauen zu haben! Wenn ich mich wegen Äußerlichkeiten unsicher fühle, können Frauen in solchen Momenten viel beruhigender sagen: „Nein, es ist alles gut!“ Ich konnte der Kamera vertrauen, dem Licht, der Regie. Einen Film zu drehen ist immer wie ein Tanz auf dem Seil – man braucht ein Netz zum Fallen.

Zeynep (Naomi Krauss) denkt am Tisch über ihr Leben nach – sie will sich selbst befreien.

Faraway wurde also hauptsächlich von Frauen gemacht. Wieso ist es aber ein Film für Frauen?

Krauss: Die einfache Antwort wäre: Weil eine Frau die Hauptrolle spielt und es um ihre Befreiung geht. Tatsächlich habe ich aber beim Screening gemerkt, dass auch männliche Zuschauer sehr berührt waren. Einer hat gesagt: „Es geht um einen Menschen der sich befreit. Das ist nicht nur ein Frauenfilm!“

Jopp: Die Männer aus meiner Familie haben Ähnliches gesagt (lachen).

Krauss: Und sie haben recht! Die Geschichte von Zeynep berührt viele Herzen. Es ist damit eine Erzählung für Frauen und die Welt.

Warum ist die Geschichte eigentlich eine RomCom, wenn es so sehr um Zeyneps Befreiung geht?

Jopp: Die Kombination aus Selbstfindung und Liebe macht letztlich die Geschichte aus, die so berührt.

Krauss: Dieses Gefühl der Liebe öffnet sich auch erst so richtig, wenn sich Zeynep befreit. Josip oder ihr Ehemann befreien sie nicht, es ist sie selbst. Und als sie wie eine Blume aufblüht, schnuppern sie an ihr.

Wenn Frauen sich stärken: Tochter Fia (Bahar Balci) und Mama Zeynep (Naomi Krauss) genießen die gemeinsame Zeit in Kroatien.

Die Liebe zeigt sich nicht nur zwischen Zeynep und den Männern, sondern auch zwischen ihr und ihrer Tochter.

Jopp: Ja. Wir wollten von Anfang an auch zeigen, wie sich Frauen innerhalb der Familie stärken und blockieren können. Im besten Fall befreit eine Frau die nächste. Wenn sie sich gut verstehen, können sie sich gegenseitig nähren. Das sehen wir bei Zeynep und ihrer Mutter. Dadurch, dass sich Zeynep mit ihren Wurzeln auseinandersetzt, findet sie Heimat in sich.

Krauss: Dafür musste sie aber auch diese Reise machen – um ganz zu sich zu kommen. Ich muss sagen: Rückblickend hat mich die Arbeit am Film verändert.

Inwiefern hat Sie die Arbeit verändert, Frau Krauss?

Krauss: Ich habe mich befreit. Ich nehme mich an wie ich bin und ich mag mich wie ich bin.

Das klingt schön.

Krauss: Ja! Auf YouTube habe ich letztens unter dem Trailer in der Kommentarspalte gelesen: „Endlich mal eine Frau, mit der ich mich identifizieren kann!“ Das finde ich so toll!

Jopp: Ich sehe das wie Naomi: Es gibt ein großes Bedürfnis danach, Filme zu sehen, wo sich Frauen wohlfühlen können. Naomi bricht als Zeynep das gängige Schönheitsideal mit ihren Röllchen. Dasselbe gilt für Goran Bogdan, der Josip mit einem ansehnlichen Bauch spielt. Der gängige Romantic Hero hat sowas meist nicht. Das hat mir von Anfang an total gut gefallen. Ich hätte nämlich gar keine Lust gehabt, bei einer romantischen Komödie Regie zu führen, wo alle wieder jung und hübsch sind.

Nicht jung und dennoch jung geblieben: Josip (Goran Bogdan) und Zeynep (Naomi Krauss) lernen sich beim Essen besser kennen.

Dabei soll Schönheit bekanntlich subjektiv sein.

Jopp: Und dennoch haben die meisten Frauen ein Thema mit ihrer Figur – und das nicht erst seit ein paar Jahren! Das mindeste, was wir mit unserem Team tun können, ist also ein anderes Bild zu zeigen. Damit dieses Body Shaming aufhört.

Aktuell ist in den deutschen Medien wieder ein Thema, dass Schauspielerinnen über 40 keine Rollen haben. Sie sagten eben selbst, Frau Jopp, dass Sie keine Lust auf eine weitere junge RomCom haben. Gibt es denn so wenig Geschichten über ältere Frauen?

Jopp: In meiner Wahrnehmung gibt es aktuell sogar einen Boom. Ich habe das Gefühl, das Publikum der 50-Jährigen wird gerade richtig entdeckt. Ich habe selbst ein anderes Projekt mit einer englischen Produktionsfirma, in dem eine 50-jährige Frau eine Hauptrolle spielt. Und dann bin ich jetzt gerade gefragt worden, ob ich darüber schreiben könnte, wie es ist, wenn die Kinder ausziehen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet wird es in Zukunft immer mehr Rollen für Frauen in einem höheren Alter geben. Vor zehn Jahren war das glaube ich tatsächlich nicht der Fall.

Krauss: Ich spüre ebenfalls eine Veränderung beim Film. Es gibt aber sehr viele Schauspielerinnen in meinem Alter. Ob alle trotz der sich andeutenden Veränderung eine Rolle finden, wünsche ich uns.

Zu den Personen

Vanessa Jopp wurde 1971 in Leonberg geboren. Sie studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und erlangte erste Bekanntheit durch die Filme Vergiss Amerika (2000) und Engel & Joe (2001) 2011 erhielt sie für ihre ZDF-Miniserie Klimawechsel den Grimme-Preis. Neben Faraway gehört zu ihren neusten Filmen Gut gegen Nordwind, mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen.

Regisseurin Vanessa Jopp. Foto: Carolyn Strover

Naomi Krauss wurde 1967 in Basel geboren und dort wie in Israel aufgewachsen. Sie wurde an der Schauspielakademie Zürich ausgebildet und startete anschließend ihre Karriere an der Berliner Schaubühne. Es folgten Engagements beim Staatstheater Darmstadt, dem Deutschen Theater Berlin und dem Hamburger Schauspielhaus. Ihren ersten Fernsehauftritt hatte Krauss 1999 in dem Film Lieb mich!. Neben Faraway ist sie auch in Michael Verhoevens Glückskind und in diversen Krimis zu sehen.

Schauspielerin Naomi Krauss. Foto: privat

Netflixwoche Redaktion

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