Die Schwimmerinnen: Die wahre Geschichte der Schwestern Yusra und Sarah Mardini

Darayya, nur wenige Kilometer vor den Toren von Damaskus, war einst eine normale syrische Vorstadt: Wohnhäuser, Einkaufsstraßen, Schulen und Kindergärten. Und eine Schwimmhalle. Hier trainierte Yusra Mardini, seit sie drei Jahre alt war, genauso wie ihre drei Jahre ältere Schwester Sarah. Zu Olympia wollten sie, Yusra mehr noch als Sarah, doch Talent hatten beide. Sie wollten für Syrien antreten, ihr Land. Und tatsächlich würde es eine von ihnen bis dorthin schaffen. Doch der Weg wurde ein ganz anderer als geplant.

Der neue Netflix-Film Die Schwimmerinnen erzählt die wahre Geschichte der beiden Schwestern.

So unterscheidet sich der Film von der Realität

2011 beginnt der Bürgerkrieg in Syrien. Den Streitkräften des Präsidenten Baschar al-Assad stehen Männer und Frauen gegenüber, die ihr Land verändern wollen.

Wie so viele Familien versuchen auch die Mardinis, so gut es geht, ihr geregeltes Leben weiterzuführen. Die beiden Schwestern Yusra und Sarah gehen zum Schwimmtraining, der Vater trainiert die beiden, die Mutter und die kleine Schwester feuern sie bei Wettkämpfen an.

Bis es zu einer lebensgefährlichen Situation kommt: Im Film landet eine Granate im Schwimmbecken, in dem Yusra (gespielt von Nathalie Issa) gerade zum Wettkampf antritt. Die Decke regnet in Splittern auf sie herab, im Wasser hat sie keine Chance, der Bombe auszuweichen. Die Granate berührt den Beckenboden – und ist zum Glück nur ein Blindgänger. Aber daraufhin entscheidet sich die Familie im Film, die Yusra und Sarah (Manal Issa) nach Europa zu schicken.

Den Bombenangriff auf das Schwimmbad gab es wirklich. In der Realität hatte die Familie die Entscheidung aber wegen eines anderen Moments getroffen: Die Straßen waren wegen der Kämpfe wieder einmal gesperrt, die Familie saß mit dem Auto fest. Da steuerte plötzlich ein Panzer direkt auf sie zu. Momente wie dieser häuften sich, die Familie musste alle paar Monate umziehen, weil die Häuser von den Bombenangriffen zerstört wurden. Der Moment im Schwimmbad steht also nur stellvertretend für eine Reihe an Gefahrensituationen, die die Familie irgendwann nicht mehr ertragen konnte.

Doch abgesehen von Zuspitzungen wie dieser bleibt der Film dicht and er Wahrheit. An einer Stelle ist Yusra sogar selbst zu sehen: An einem Drehtag in Berlin kam sie als Zuschauerin vorbei und sprang dann kurzerhand als Double für sich selbst ein. Nur, dass sie dort vom Team „Yusra Nummer zwei“ gerufen wurde, war für Yusra Mardini, die inzwischen eine kleine Berühmtheit ist, etwas ungewohnt.

So verlief die echte Reise der beiden Schwestern – und das machen sie heute

Die Familie entscheidet, dass es für die Schwestern in Syrien keine Zukunft gibt. Wie mehr als vier Millionen weitere Geflüchtete aus Syrien, die sich im Sommer 2015 bereits in den Nachbarstaaten aufhalten. In dem Sommer, in dem auch Yusra und Sarah übers Meer fahren.

Dass Yusra und Sarah, zu dem Zeitpunkt gerade mal 17 und 20 Jahre alt, professionelle Schwimmerinnen sind, rettet nicht nur ihnen, sondern auch 18 weiteren Menschen das Leben – jenen, die mit ihnen das Mittelmeer in Richtung Lesbos überqueren.

Gemeinsam mit ihrem Cousin brechen die Schwestern am 12. August in die Türkei auf, um dort an der Küste nach Griechenland in einem Schlauchboot überzusetzen. Doch während der Überfahrt versagt der Motor. Das Boot droht zu sinken. Von den Menschen an Bord können nur wenige schwimmen. Yusra und Sarah springen ins Wasser und ziehen das Boot über mehrere Stunden bis zur Küste Griechenlands.

Angekommen in Deutschland

Über die Balkanroute gelangen die Schwestern letztendlich nach Berlin. Zu diesem Zeitpunkt haben bereits mehr als 270.000 Syrer*innen Asylanträge in Europa gestellt.

In Berlin wird der Verein Wasserfreunde Spandau 04 auf die Schwestern aufmerksam. Der Trainer Sven Spannekrebs (im Film gespielt von Matthias Schweighöfer) setzt sich für die beiden ein und unterstützt sie sportlich wie auch privat.

„Ich habe sofort neue Freunde beim Schwimmen gewonnen“, hat Yusra dem Deutschlandfunk erzählt. „So etwas wie meine zweite Familie. Es hat mir auch einen ganz anderen, viel schnelleren Zugang zu den Menschen hier ermöglicht. Schwimmen spielt eine große Rolle in meinem Leben, es hat mein Leben verbessert, es hat es gerettet.“

Yusra hatte noch immer den Traum vom Olympia, in Rio 2016 wollte sie für das syrische Team schwimmen. Und tatsächlich wurde sie vom Olympischen Komitee nach Brasilien eingeladen – allerdings nicht für das syrische Team, sondern für das der Flüchtlingsathlet*innen, das 2016 erstmals starten sollte.

Mit den Olympischen Spielen endet der Film Die Schwimmerinnen. Doch die wahre Geschichte der Schwestern geht noch weiter und nimmt eine Wendung.

Was folgte auf Olympia?

Vor allem Sarah sieht ihre Aufgabe darin, anderen Geflüchteten zu helfen. Sie bricht ihr Studium in Berlin ab, geht zurück nach Lesbos und wird bei einer NGO tätig. Am Strand hält sie Ausschau nach ankommenden Booten und versorgte die Menschen mit Wasser, Kleidung und Essen – so, wie sie es gebraucht hätte, bei ihrer Ankunft.

2018 wird Sarah Mardini zusammen mit 23 anderen Aktivist*innen verhaftet. Ihnen wird von der griechischen Justiz Spionage, Menschenhandel und Mitgliedschaft in einem illegalen Netzwerk für Flüchtlingshilfe vorgeworfen – zu unrecht, wie renommierte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International urteilen.

Lebensrettende humanitäre Arbeit, wie Sarah Mardini sie leistet, dürfe nicht bestraft werden, die erhobenen Anklagen seien eine Farce, kommentiert Nils Muižnieks, Direktor des europäischen Regionalbüros von Amnesty International. Auch eine Untersuchung des Europäischen Parlaments ergab, dass die Anklage „Solidarität kriminalisiert“. Sarah wartet momentan auf ihren Prozess, ihr drohen bis zu 25 Jahre Haft.

Yusra Mardini studiert heute an der University of Southern California in Los Angeles, nachdem sie mehrere Jahre in Deutschland gelebt hatte. Nach ihrer Teilnahme an Olympia 2016 folgte die nächste vier Jahre später in Tokio. Wieder trat sie für das Team der Geflüchteten an. In der Zwischenzeit wurde sie außerdem zur UN-Sonderbotschafterin für Geflüchtete ernannt, sprach mit Entscheidern wie Barack Obama oder Papst Franziskus.

„Mir geht es darum, das Bild zu korrigieren, das viele Menschen von Flüchtlingen haben“, sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk. „Nur weil ich ein Flüchtling bin, heißt das nicht, dass ich ein Niemand bin. (...) Oder dass ich kein Zuhause hatte oder keine Ahnung von Technik.“

Das halten die echten Schwestern von der Verfilmung ihrer Lebensgeschichte

Der Film von Sally El Hosainis trägt ebenfalls dazu bei, das negative Bild zu überschreiben. „Es war wirklich bewegend. Sarah und ich haben den ganzen Film über geweint. Ich wache ja nicht jeden Tag auf und denke darüber nach, was passiert ist“, sagte Yusra im Deutschlandfunk.

Sie sei beeindruckt gewesen von der Umsetzung: „Es hat mich traurig gemacht, aber auch stolz auf alles, was wir erreicht haben.“

Netflixwoche Redaktion

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